Das andere Leben der Anderen
Die Maya in Guatemala werden seit Jahrhunderten ausgegrenzt und abgewertet. Ein engagiertes Projekt im Hochland versucht, Kinder und Jugendliche dieser Region auf eine bessere Zukunft vorzubereiten.
Nach dreieinhalbstündiger Fahrt ohne Halt hat der Linienbus sein Ziel erreicht. Das hochmoderne Gefährt verbindet die Hauptstadt Guatemalas mit der zweitgrößten Metropole Quetzaltenango. Wir steigen aus, begeben uns in den städtischen Trubel kurz vor Sonnenuntergang zwischen Verkehrslärm, Kindergeschrei und den werbenden Rufen der Händler an der Straße. Sechs Mal am Tag rollt der meistens voll besetzte Omnibus, begleitet von jeweils einem Wachmann, über die Panamericana. Die Reise über die vierspurige kurvenreiche Hochstraße ist ein Sicherheitsrisiko. Immer wieder liest man in den Zeitungen von Überfällen auf Busse. Zugleich ist das öffentliche Verkehrsmittel einer der wenigen bezahlbaren Transportwege für viele Einheimische.
Quetzaltenango, das von den Einheimischen Xela (sprich: Schela) genannt wird, empfängt die Reisenden aus Guatemala- Stadt an einer riesigen Kreuzung, Cuatro Caminos, Vier Wege. Hier überschneiden sich Straßen, die von der Hauptstadt aus nach Mexiko und Totonicapán führen. Unweit des Verkehrsknotens befindet sich auf einer Insel mitten im Kreisverkehr das sogenannte Marimba-Monument, gestaltet vom Bildhauer Rodolfo Galeoti Torres (1912–1988). Eine riesige tanzende Maya- Frau, die über einer noch riesiger scheinenden hellblau-weißen Marimba schwebt, zieht die Blicke auf jenes Musikinstrument, das für Guatemalteken das vertrauteste Instrument überhaupt ist.
Das Denkmal stammt vom Ende der siebziger Jahre, einer Zeit, als Militärdiktatoren in Guatemala die Maya im Hochland der Provinz Quiché massiv bekämpften und grausame Massaker veranlassten. Genau zu dieser Zeit wurde die Marimba zum Nationalsymbol erklärt. Die Militärs ordneten zudem das Erlernen des Marimba-Spiels verpflichtend für alle Schüler an staatlichen Schulen an. Das Monument hatte seinerzeit eine heftige Debatte ausgelöst. Im Hintergrund steht der bis heute verbreitete Rassismus, der sich von der Mischlingsbevölkerung (Mestizen) gegen die Maya richtet. Die Machtelite, die bis heute fast ausschließlich aus den Reihen der Mestizen kommt, hatte mit dem Marimba- Monument der Welt vorgegaukelt, sie würde die Kultur der Maya endlich anerkennen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Bis heute sind die Indigenas in der Politik nicht vertreten, obwohl sie mit sechzig Prozent die Bevölkerungsmehrheit stellen. Ihre Kultur wird diskriminiert und für den Tourismus instrumentalisiert, ihre Sprache nicht akzeptiert. Zwar sollen Maya-Sprachen in der Schule unterrichtet werden, aber es fehlt chronisch an Lehrmaterial. Rigoberta Menchú, Friedensnobelpreisträgerin von 1992 und guatemaltekische Menschenrechtsaktivistin, kennzeichnete das geschichtsblinde Vorgehen der Machthaber einmal so: „Was uns Indigenas am meisten schmerzt, ist, dass sie unsere Kleidung schön finden, aber die Person, die die Kleidung trägt, gar nicht sehen.“
Ob Kleidung, ob Instrument: Wie tiefgreifend dieser Schmerz über die Ignoranz ist, hat Carlos Alarcón vom Menschenrechtsbüro des Erzbistums Guatemala-Stadt bei einem Gespräch erläutert: Man müsse sich nur das Ergebnis der letzten Parlamentswahlen von 2014 anschauen. „Es gibt nur ganz wenige Maya-Abgeordnete sowie einige Alibi-Maya in den Parteien und Institutionen. Doch die Macht teilen die Nicht-Maya fast ausschließlich unter sich auf – und das seit Jahrhunderten.“
Auszug aus Christ und Gegenwart (CIG), 19, 69. Jahrgang, 07.Mai 2017 von Jürgen Springer, Theologe und Redakteur bei der Wochenzeitung CIG.
Nachtrag/Korrektur: Seite 1: … Mit dem Erweiterungsbau wird im Januar 2016 begonnen.
Es sollte heissen: Der Erweiterungsbau wurde im Januar 2016 begonnen und im März 2016 fertigestellt.