Rundbrief Mai 2015
Cantel, Guatemala, 11. Mai 2015
Liebe Freunde und Freundinnen, alle, die ihr unsere Arbeit in Cantel unterstützt,
Wieder einmal, dieses Mal nach einer längeren Pause, schreibe ich euch, damit ihr euch ein Bild von unserer Arbeit machen könnt. Die letzte Seite handelt von der politischen Situation in Guatemala.
Auf den Fotos (PDF Anhang Rundbrief Mai 2015) seht ihr ein wenig aus dem Schulalltag der Kinder und die Lehrer und Lehrerinnen im Lehrerzimmer beim Pausenkaffee. Vielleicht fragen sich einige von euch, warum hier weder Schülerinnen noch Lehrerinnen die Mayatracht tragen. Der Grund ist, dass an dem Tag, an dem diese Fotos gemacht wurden, Sportunterricht stattfand, und deshalb alle in Sportkleidung zur Schule gekommen sind.
Ich fange gleich mit zwei erfreulichen Nachrichten aus der Schule an:
Wir haben einen neuen Marimbalehrer angestellt, der den Kindern beibringt, die Marimba wirklich klingen zu lassen. Er ist der zweite von links auf dem unteren Foto, auf dem er gerade mit drei Kindern nach dem Sportunterricht übt.
Auf dem rechten Foto seht ihr die Mädchen in der Tracht, mit der sie auf Veranstaltungen spielen.
Der Bürgermeister lädt die Marimbagruppe immer wieder zu Veranstaltungen ein, und leistet monatlich einen finanziellen Beitrag. So können wir in diesem Jahr einer Bitte der Eltern nachkommen, die möchten, dass nicht nur die begabten Kinder Marimba-Unterricht bekommen, sondern dass allen die Möglichkeit geboten wird, ein paar Melodien zu lernen.
Sie haben sich darauf berufen, dass wir in unseren Erziehungsgrundsätzen davon reden, wie wichtig Kunst und Musik für die Entwicklung der Kinder ist. Da Gabriel Salanic gelernter Musiklehrer ist, haben wir ihn gebeten, mit den Kindern auch zu singen.
Die Kinder singen gerne, nur ohne Anleitung war es bis jetzt eher laut und nicht sehr melodiös.
Eine Künstlerorganisation in der Hauptstadt von Guatemala, die ihre Arbeit nicht mehr weiterführen kann, hat uns Zeichenmaterial und Farben geschenkt und uns außerdem ihre Lautsprecheranlage überlassen. So muss die Schule bei Veranstaltungen keine mehr ausleihen und dafür bezahlen.
Der Schulgarten,
in dem Gemüse und Kräuter angebaut werden, ist erweitert worden.
Auf den Fotos seht ihr, dass die Kinder der Vorschule, der ersten und zweiten Klasse beim Umgraben und Herrichten der Beete von ihren Eltern unterstützt wurden.
Dabei bot sich Möglichkeit, mit den Eltern über die Bedeutung von Gemüse in der Ernährung zu reden.
Wir hoffen ja, dass einige zu Hause neben dem Mais auch Gemüse anbauen, und damit ihre Ernährung aufbessern.
Die 5. und 6. Klasse lernen bei der Arbeit im Schulgarten einiges über organische Düngung, über Pflanzenkrankheiten, und die Anfertigung von Protokollen. In der Lehrerfortbildung haben wir seit Januar den Schwerpunkt auf den K’iche’-Unterricht gelegt, der seit einiger Zeit vom Erziehungsministerium vorgeschrieben ist.
In den Familien unserer Kinder wird K’iche‘ nur wenig gesprochen. Alle Lehrer und Lehrerinnen sprechen mehr oder weniger K’iche’. Einige können kennen die Orthographie und Grammatikregeln und können diese Mayasprache schreiben, haben aber wenig Übung darin. Im Colegio Maya können sich in derselben Klasse manche Kinder über Alltagsthemen in K’iche’ unterhalten, die meisten verstehen ein paar Worte. Im Unterricht geht es darum, die mündliche Sprachkompetenz zu erweitern und zu lernen, die Sprache zu schreiben. Bei der Suche nach didaktischem Material haben wir festgestellt, dass die Bücher, die vom Erziehungsministerium zur Verfügung gestellt werden, voller Fehler sind. Wir haben nun angefangen die Texte zu verbessern, und eigenes Material zu entwerfen. Gleichzeitig sind wir auf der Suche nach kindgerechten Texten, die Schritt für Schritt schwieriger werden.
Die Bibliothek ist weiterhin gut besucht.
Die Kinder kommen mit ihren Müttern, um Bücher auszuleihen,
und wir wissen, dass in vielen Familien die Eltern den Kindern vorlesen oder umgekehrt.
Seit letztem Jahr haben wir auf Wunsch der Eltern geplant, eine dreijährige Mittelschule anzubieten. Die Mittelschule in der Nähe, die die Kinder besuchen, deren Eltern weder das Fahrgeld noch das Schulgeld für einen Schulbesuch in Quetzaltenango bezahlen können, ist ziemlich überfüllt. Ich wollte euch als gute Nachricht schreiben, dass wir bereits den Antrag mit allen Dokumente und Nachweise bei der Schulbehörde eingereicht haben. Leider hat mir Don Pedro Cortez, der Direktor, mitgeteilt, dass sich die Bedingungen in diesem Jahr geändert haben, und dass die Sachbearbeiterin in Quetzaltenango, ihm noch nicht sagen kann, wie und wann der Antrag eingereicht werden soll, vielleicht im Mai noch, vielleicht im Juni. Das ist ein kleines Beispiel der Mängel des öffentlichen Verwaltungswesens, in diesem Fall des Erziehungsministeriums.
Da wir für die wachsende Grundschule und für die Mittelschule mehr Schulräume brauchen, haben wir über unseren Verein Itzamna – Hilfe für Guatemala und mit dessen Mitarbeit einen Antrag beim BMZ (Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit) einen Antrag auf Finanzierung gestellt. Wir hoffen, dass die Genehmigung nicht so lange auf sich warten lässt, wie beim letzten Antrag, denn wir brauchen die Räume schon nächstes Jahr.
Einige Stipendiaten haben uns Überraschungen bereitet, erfreuliche und weniger erfreuliche.
Unerfreulich ist, dass diejenigen, die jungen Frauen, die im letzten und vorletzten Jahr ihre Ausbildung in Buchhaltung beendet haben, keine entsprechende Arbeitsstelle gefunden haben. Wie viele andere Jugendliche, die dachten mit einer entsprechenden Ausbildung hätten sie mehr Chancen, arbeiten sie dann als schlecht bezahlte Verkäuferinnen, oder sticken in Handarbeit die traditionellen Blusen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Einer der neuen Stipendiaten, Yoni, hat in diesem Jahr auf sein Stipendium verzichtet. Sein Vater hat aus den USA Geld geschickt, damit die Mutter noch etwas Land kauft und das Haus verbessert. Er hat beschlossen, den Acker zu bearbeiten, und nebenbei zu weben, da wüsste er, was er hat, und kann jetzt mit seinen 14 Jahren schon Geld verdienen.
Ein anderer, Carlos, hat uns massiv angelogen, deshalb haben wir ihn nicht mehr weiter gefördert.
Bei dem letzten Treffen mit den Stipendiaten habe ich erfahren, dass Greyceli nicht mehr zur Gruppe gehört. Sie kommt seit drei Monaten nicht mehr zu den Treffen und hat sich auch telefonisch nicht gemeldet. Sie ist 20 Jahre alt und wollte unbedingt auf eine höhere Schule und später studieren, obwohl ihre Schwestern dagegen waren. Nun hat eine andere Stipendiatin erzählt, dass sie sie getroffen hat: Sie hat geheiratet, und die Schwiegermutter verbietet ihr weiter zu studieren. Leider können wir ihr da nicht helfen.
Eine freudige Überraschung haben uns Gabi und Byron bereitet. Sie haben Fotos die Cantel in den siebziger Jahren zeigen, in eine Powerpoint-Vorführung mit Texten und Musik umgewandelt. In zwei Wochen werden alle Leute, die auf den Fotos zu sehen sind, ins katholische Gemeindehaus eingeladen. Es gibt dazu etwas zu Essen und musikalische Begleitung durch die Marimbagruppe des Colegio Maya. Die Fotos und deren Digitalisierung sind ein Geschenk einer österreichischen Krankenschwester, die früher in Cantel gearbeitet hat. Wir glauben, dass die Eingeladenen sich freuen und sind gespannt auf ihre Kommentare.
Und nun etwas Information über die politische Lage in Guatemala.
Das Foto zeigt eine Demonstration, auf denen der Rücktritt des Präsidenten und der Vizepräsidentin gefordert wird. Sie werden “ladrones”, also “Räuber” genannt, die mit Gefängnis bestraft werden soll.
Dass die Korruption in Guatemala ungeheure Ausmaße hat, dass die Regierungsinstitutionen, die Polizei, das Militär, die Justizbehörden von korrupten Personen durchsetzt sind, das ist ein offenes Geheimnis. Dass die schwerwiegenden Mängel in der Gesundheitsversorgung, der Schulerziehung damit zu tun haben, dass sich Verantwortliche und höhere Angestellten dieser Institutionen bereichern statt ihre ihnen zugewiesen Arbeit zu verrichten, dass auch viele Angestellte in den unteren Ebenen stehlen, ist ebenfalls allgemein bekannt. Solche Situationen anzuzeigen, ist mit der Gefahr verbunden, den Arbeitsplatz zu verlieren. Die meisten denken, dass daran nur schwer etwas zu ändern ist. Betrug gehört zum täglichen Leben. Man muss eben nur aufpassen, dass man selbst nicht betrogen wird und dass man Leute kennt, denen man vertrauen kann. Die Mehrheit der Bevölkerung fühlt sich machtlos und denkt, dass man gegen das Stehlen von Steuergeldern und von Geldern internationaler Hilfsinstitutionen von Seiten der Politiker nichts machen kann, genauso wenig wie gegen den Einfluss der multinationalen Konzerne und der Drogen- und Waffenhändler auf die Wirtschaftspolitik und das Justizwesen.
Vor einigen Wochen wurde durch eine international besetzte Juristenkommission, die CICIG, eine betrügerische Organisation aufgedeckt, die zu den erwähnten Demonstrationen führte. Der Privatsekretär der Vizepräsidentin wurde als Kopf einer Verbrecherorganisation innerhalb der Finanzverwaltung entlarvt, die von Unternehmern beträchtliche Schmiergelder verlangte, um ihnen Steuerfreiheit zu gewähren. Er selbst war gerade nicht in Guatemala, sondern hat die Vizepräsidentin auf eine Reise nach Korea begleitet, wo sie einen Ehrendoktor verliehen bekam. Als die Nachricht veröffentlicht wurde, ist er verschwunden und auch die Vizepräsidentin hat sich nicht mehr in der Öffentlichkeit gezeigt. Drei Mitglieder der Organisation wurden festgenommen, und gegen Kaution bald wieder freigesetzt. In den letzten Tagen wurde nun offengelegt, dass die Anwaltskanzlei, die diese Kaution beantragte, Verbindungen zu korrupten Richtern im Justizsystem hat und gegen entsprechende Bezahlung Wirtschaftsverbrechern und anderen Straffreiheit verkauft hat. Diese Nachrichten bestätigen die Befürchtung, dass Guatemala kein Rechtsstaat ist, und jede Wahl, so wie die in diesem Jahr, nur eine Farce ist, in der um die Möglichkeit gekämpft wird, sich auf Kosten der Bevölkerung zu bereichern. Dieser Skandal ist wahrscheinlich nur die Spitze des Eisbergs, er zeigt nur einen kleinen Teil einer undemokratischen und menschenfeindlichen Struktur, die von Personen aufrechterhalten wird, denen Geld und Macht über alles geht.
Als Reaktion wurden über Facebook, und nicht von irgendwelchen politischen Organisationen zu Demonstrationen aufgerufen, und je nach Nachrichtenquelle haben 10 000 bis 20 000 Personen am letzten Samstag in der Stadtmitte demonstriert und den Rücktritt des Präsidentenpaars gefordert. Sogar die Unternehmerorganisation CACIF hat sich den Protesten angeschlossen und gefordert, dass die Namen der Unternehmen bekannt gegeben werden soll, die dank der Korruption Steuern hinterzogen haben. Gestern hat nun die Vizepräsidentin ihren Rücktritt eingereicht. Viele haben „hurra“ gerufen, aber für die meisten ändert sich mit diesem Rücktritt nichts an ihrer Situation. Die katholischen Bischöfe haben öffentlich erklärt, dass das nicht reicht, sondern dass alle diese verbrecherischen Organisationen aufgedeckt und ihre Mitglieder bestraft werden müssen. Vor allem soll auch das Geld zurückgegeben und für die Pflichten des Staates an der Bevölkerung verwendet werden.
Es ist nicht zu verwundern, dass in einem Land, in dem die meisten Politiker und höheren Beamten daran denken, wie sie sich bereichern können, die Armut der Bevölkerung, die Kleinkriminalität, die ungerechte Verteilung der Bildungsmöglichkeiten und Gesundheitsvorsorge immer schlimmer werden. In diesen Tagen hat die offizielle Wahlpropaganda begonnen, mit vielen Versprechungen, die keiner glaubt. Voraussagen zu Folge soll der Wahlkampf in vielen Teilen des Landes gewalttätig ausfallen, das bedeutet dass nicht nur verbale Beschimpfungen und Verleumdungen an der Tagesordnung sind, sondern dass es auch Tote und Verletzte geben wird, im Kampf um Wählerstimmen. Viele die doch bei einer Partei mitmachen, tun es deshalb, weil sie erwarten, dass der Abgeordnete, den sie unterstützt haben, ihnen Begünstigungen, vor allem Arbeitsaufträge oder einen Arbeitsplatz verschafft.
Das ist das Umfeld, in dem wir arbeiten und leben. Wie viele andere versuchen wir unser Bestes, um in unserem Umfeld der Profitlogik menschliches Handeln entgegenzusetzen. Im Colegio Maya und im Stipendiatenprogramm geht es darum, Kindern und Jugendlichen eine gute Schulbildung zu bieten und dabei ihre altersbedingten Bedürfnisse zu berücksichtigen. Die Arbeit mit den alten Leuten soll ihnen ein menschenwürdiges Altern ermöglichen.
Wir danken euch für eure Hilfe dabei und vertrauen darauf, dass wir auch in diesem Jahr damit rechnen können.
Viele herzliche Grüße von allen.
Walli Rupflin, Pedro Cortez, Marcos Tzul,
Enrique Salani, Rolando Salanic,Hugo Cortez
Spendenkonto: Itzamna – Hilfe für Guatemala,
8300757 Kreissparkasse Biberach BLZ 65450070 IBAN : DE02 6545 0070 0008 3007 57 BIC: SBCRDE66XXX
Kontakt und Flyer: Gisela Oesterlein, Rammingerstr.8, 88400 Biberach-Riss, wallirupflin@yahoo.de
Den gesamten Rundbrief mit weiteren Bildern können Sie hier als PDF herunterladen: Rundbrief Mai 2015