Rundbrief Oktober 2020
Liebe Freundinnen und Freunde, Spenderinnen und Spender,
Im Oktober geht das Schuljahr in Guatemala zu Ende und wir haben in der letzten Woche unsere Arbeit ausgewertet und sind im Großen und Ganzen recht zufrieden. Außerdem haben wir besprochen, wie wir bei der Notengebung vorgehen und welche Kriterien entscheiden, wer in die nächste Klassenstufe aufrücken kann.
Auf den Fotos seht ihr uns bei einer unserer Sitzungen. Wir halten uns immer an die Abstandsregeln und benützen den Mundschutz, auch auf dem Gruppenbild, mit dem wir euch alle grüßen. In Guatemala ist ein Ampelsystem eingeführt worden, das 14tägig für jede Gemeinde die Gefahrenstufe angibt. Cantel gehört zu den Gemeinden mit Gefahrenstufe rot. Welche Verhaltensvorschriften das beinhaltet ist nicht klar, denn der Ausnahmezustand ist am 1. Oktober aufgehoben worden und allen wurde empfohlen, alles zu tun, um weitere Infektionen zu vermeiden. Die Schulen dürfen allerdings noch keinen Präsenzunterricht durchführen und fürs nächste Jahr wird ein hybrides System vorgeschlagen, also ein Wechsel zwischen Präsenzunterricht und Unterricht mit digitalen Medien. In der Leitung von Le K’at haben wir beschlossen, dass wir alle Entscheidungen, die das Schulleben angeht, gemeinsam mit den Lehrer-innen treffen, denn sie sind es, die mit den Schüler-innen arbeiten und die den Kontakt mit den Familien halten. Außerdem wollen wir, dass sie sich mitverantwortlich fühlen und in dieser schwierigen Zeit entsprechend mitarbeiten. Es schaut so aus, als ob wir als nicht-staatliche Schule die Art und Weise, wie das geschehen soll, selbst planen dürfen.
Die Schüler-innen durften an einem Wochentag in die Schule kommen, um sich persönlich beraten zu lassen.
Der Unterricht per Whatsapp, mit Arbeitsblättern und selbstgemachten Videos war eine große Herausforderung. In der Sitzung am Dienstag dieser Woche haben alle berichtet, wie sehr sie am Anfang darunter gelitten haben, dass sie so plötzlich mit Hilfe von schriftlichen Arbeitsaufträgen und selbstgemachten Texten unterrichten sollten. In der Lehrerausbildung war das nicht vorgesehen.
Jetzt haben sie es gelernt und sie haben unbekannte Fähigkeiten entwickelt. Es ist nicht einfach, den Kindern der 3ten Klasse über ein Video und mit Arbeitsblättern zu erklären, wie man Zahlen dividiert. Die Englischlehrerin hat erzählt, wie es für sie schwierig war, Videos und Audios zum Sprachenlernen herzustellen. Weil sie drei kleine Kinder hat, musste sie das in der Nacht machen. Eine andere Erfahrung war, dass alle Kinder praktisch Einzelunterricht erhielten und die Lehrer-innen jederzeit anrufen und fragen konnten. Das geschah meist abends, wenn die Eltern zuhause waren. Die Kinder der Grundschule haben noch keine Smartphones.
Viele meinten, dass sie sicher genausoviel Neues gelernt haben, wie die Kinder. Diese Feststellung konnte auch ich machen. Denn ich habe viele der Arbeitsblätter durchgesehen, bevor sie an die Schüler-innen weitergegeben wurden, habe die meisten korrigiert und auch einige total zurückgewiesen und neue verlangt. Dies war einer der Gründe, die viele leiden ließen.
Ich habe aber erklärt warum die Korrekturen nötig waren: in ihrer Ausbildung gab es diese Lernprozesse anscheinend nicht. Zu meiner Freude, haben wirklich die meisten in diesen Monaten dazugelernt. Einen Teil der Supervision hat Elsa Maribel García Mul übernommen. Sie ist die Lehrerin, der wir seit vorletztem Jahr Leitungsfunktionen übertragen haben, damit sie hoffentlich in der nächsten Zukunft als Direktorin die Aufgaben von Don Pedro übernimmt.
Die Bemühungen der Lehrer-innen hatten Erfolg. In allen Gruppen der 6-klassigen Grundschule sind es nicht mehr als 2 Schüler-innen, die die Aufgaben nicht gemacht haben. Es sind die, die auch im Präsenzunterricht große Schwierigkeiten haben, weil sie vernachlässigt und in schwierigen Verhältnissen aufwachsen.
Vor drei Wochen wurden alle Klassen, jede an einem anderen Tag, eingeladen Aufgaben in Mathematik und Sprache zu lösen, um zu sehen, was die Kinder gelernt haben, ohne dafür Noten zu geben. Bei dieser Gelegenheit sind auch Eltern gekommen und haben mit den Lehrer-innen über ihre Kinder geredet.
In der letzten Woche werden in der gleichen Weise Abschlussprüfungen abgehalten. Die wenigen Kinder, deren Eltern sie nicht in die Schule schicken wollen, können die Prüfungen übers Internet machen. Die allermeisten Familien nehmen die Situation gelassen hin und wünschen sich wieder Präsenzunterricht. Gleichzeitig verursacht jede Erkältung Angst, denn trotz der Versprechungen der Regierung, kann man sich nur schwer kostenlos auf eine Infektion durch den Coronavirus testen lassen, nicht einmal, wenn man pflichtversichert ist. Die Tests sind nur Personen mit heftigen Symptomen vorbehalten, und dann muss man noch auf eine Warteliste. Dazu kommt, dass die meisten Angst haben, dass sie bei einem positiven Test gleich zwangsweise im Krankenhaus bleiben müssen. So bleibt uns Älteren nichts anderes übrig, als uns von allen fernzuhalten, die irgendeine Art von Symptomen zeigen und auch sonst wenig Kontakte pflegen.
Der Schulgarten wird zur Zeit von den Lehrern und Lehrerinnen weitergeführt. Einen Teil der Ernte nehmen sie mit, ein anderer wird verkauft.
Wegen der schwierigen wirtschaftlichen Situation der Familien haben einige Lehrer und Lehrerinnen vorgeschlagen, dass wir im Unterricht der Mittelschule mehr wirtschaftliche Themen aufgreifen sollen. Die Idee ist, dass wer weiß, wie Wirtschaft und Markt funktionieren, sich eher finanziell über Wasser halten kann, und auch weiß, was die Ursachen sind, dass so viele arm bleiben, oder nur überleben, weil Familienangehörige illegal in den USA arbeiten und Geld schicken. In den letzten zwei Monaten haben einige mit dem Thema angefangen und gesehen, dass sie selbst nicht viel wissen und es ihnen schwer fällt darüber mit den Schüler-innen zu arbeiten. Das Thema wird uns deshalb neben didaktischen Themen in den Fortbildungstagen im November beschäftigen. Was nützt es die Menschenrechte zu kennen, aber nicht die wirtschaftlichen Faktoren, die ihre Verwirklichung brutal verhindern?
In der Arbeit mit den Senior-innen können wir immer noch keine Treffen veranstalten. Dank der Christel-Wasiek-Stiftung, die großzügigerweise die finanzielle Hilfe erhöht hat, können wir einmal im Monat an über 100 Personen eine Essenstüte zusammen mit den Medikamenten austeilen. Hier seht ihr Doña Mélida beim Eintüten der Lebensmittel. Die meisten Personen werden telefonisch über Kontaktpersonen eingeladen zu einem Treffpunkt zu kommen, die anderen, die nicht mehr gut zu Fuß sind, werden zu Hause besucht.
Wir planen, im November einige Senior-innen zu interviewen und uns einiges von ihrer Lebensgeschichte erzählen zu lassen. Das soll auf K’iche‘ geschehen, transkribiert und auf Spanisch übersetzt werden. Einige von uns hatten die Idee schon lange. Leider ist das Transkribieren sehr viel Arbeit und kann nur geschehen, wenn wir jemanden extra dafür bezahlen. Auch dafür haben wir finanzielle Unterstützung von Frau Christel Wasiek bekommen. Diese Lebensgeschichten möchten wir im Sozialkundeunterricht einsetzen. Zusätzlich soll diese Aktivität helfen, den K’iche‘-Wortschatz, der in Cantel bei den jüngeren Leuten schon sehr vermindert ist, zu erhalten und zu erweitern. Ein Hindernis, das wir noch überwinden müssen, ist die Angst vor Ansteckung mit dem Coronavirus. Dazu müssen wir den Beteiligten gut erklären, wie wir diese Gefahr vermeiden können.
Wie ihr seht, sind wir guten Mutes, was unsere Arbeit angeht. Trotzdem bleiben noch einige Sorgen Eine ist die schwierige Aufgabe, den Unterricht im nächsten Jahr zu organisieren. Wie schon erwähnt ist Cantel laut Ampelsystem in der roten Zone. Das verbietet nach den aktuellen Richtlinien den Präsenzunterricht. Die Zahlen der registrierten Infektionen pro Woche sind im sinken, so dass wir die Hoffnung haben, in die orange Zone zu gelangen. das bedeutet, dass wir mit kleinen Gruppen arbeiten dürfen. Die andere Sorge ist finanzieller Art: Weil bei vielen Familien Einkünfte weggefallen sind, haben weniger als die Hälfte Schulgeld bezahlt, das etwa 20 % der Schulkosten deckt. Wenn ihr die Möglichkeit habt, in eurem Freundeskreis für unsere Arbeit zu werben, wären wir euch sehr dankbar.
Noch ein paar Zeilen zur politischen Situation in Guatemala: Die Korruption geht weiter und es ist sinnlos zu sagen, wieviel dank der Finanzhilfen zur Bewältigung der Corona-Krise auf Konten der Staatsdiener abgezweigt wird. Gerade wurden in einem leerstehenden Haus des Verkehrsministers der vorherigen Regierung 122 Millionen Quetzal (etwa 14,5 Millionen Euro) in Scheinen gefunden. Diesem Fund sind Drohungen an den Leiter der Behörde zur Bekämpfung er Straffreiheit von Politikern vorangegangen. Seit einem Jahr ist auch die gesetzlich vorgeschriebene Neubesetzung am Obersten Gerichtshof fällig. Sie wird dauernd verhindert, damit die jetzigen korrupten Juristen nicht ausgewechselt werden. Das heißt, es gibt zur Zeit keine unabhängige Gerichtsbarkeit. Es ist nur allzu deutlich, dass die Oligarchie (etwa 50 wirtschaftlich mächtige Familien) nur zulässt, dass bei Wahlen Politiker ausgewechselt werden, ohne ihren Einfluss zu verlieren.
Mit eurer Hilfe können wir im Kleinen etwas ändern und dafür danken wir euch.
Wir grüßen euch herzlich und wünschen euch Gesundheit
Eure
Pedro Cortez , Marcos Tzul, Hugo Cortez, Enrique Salanic,
Rolando Salanic und Walli Rupflin
im Namen aller in der Schule und im Namen der Senior-innen.